Die Neumühle
Vor der Neumühle: Müller Karl Emil Selig mit Frau Amalie Emilie, geb. Born, sowie die Tochter Gertrud, verh. Ertel
Aufnahme ca. 1920
beide Fotos der Neumühle freundlicherweise bereitgestellt von Herrn Christian Selig
die Neumühle im Jahr 2009
Foto: H. Pieper
Die Vogelmühle 1987
Foto: C. Selig
die Vogelmühle im Jahr 2009
Foto: H. Pieper
Die Müllerfamilie Selig in Peilau, Kreis Reichenbach
Die Neumühle liegt etwa 600m süd-westlich hinter dem Roten Hof und dem Vorwerk Weißer Hof, in Mittel Peilau, Kreis Reichenbach, etwa 1km Luftlinie von der Roten Kirche entfernt. Um vom Dorf her zur Mühle zu gelangen, musste das Gelände eines dieser Gehöfte überquert werden.
Bei der Neumühle handelte es sich um eine reine Wassermühle, ein Elektromotor oder Ähnliches war bis zum Schluss nicht vorhanden.
Die Mühle wurde nicht von der Peile gespeißt, sondern vom Grenzmühlbach der noch hinter Habendorf, etwa 4km von der Mühle entfernt, aus dem Großteich gespeist wird, welcher zum Gut Ober Habendorf gehörte.
Da der Bach kaum ausreichte um die Mühle aus eigener Kraft das ganze Jahr über anzutreiben, wurde der Bach kurz vor der Mühle in einen kleinen Teich gestaut. Das Wasser wurde über einen Erdwall und eine hölzerne Rinne zum Mühlrad geführt.
Die Anfänge der Mühle liegen (noch) im Dunkeln. Der Name Neumühle lässt bereits vermuten dass diese Mühle zu einem relativ späten Zeitpunkt erbaut wurde. Ob die Familie Selig für den Bau verantwortlich war ist unklar. 1901 wurde die Mühle von Emil Selig geführt, der zusätzlich, wie die meisten damals, eine Landwirtschaft betrieb. Er war auch anscheinend der erste Selig der sich in Peilau niederließ. Allem Anschein nach kommt die Familie, zumindest die vorherige Generation, aus dem Nachbarkreis Strehlen.
Etwa 1km nord-westlich der Neumühle befindet sich auf einer Karte von 1938 die Bezeichnung „Feldmühle“. In den 40er Jahren gehörte dieses Gebäude Wilhelm Vogt. Nach allem was mir bekannt ist wurde es aber nicht mehr als Mühle betrieben.
Gegenüber der Weißen Kirche auf der südlichen Seite der Hauptstraße befindet sich die Vogelmühle. Diese hat ihren Namen von der Besitzerfamilie Vogel, die dort auch noch während des zweiten Weltkrieges lebte.
1927 legte der Sohn von Emil Selig, Otto Selig, die Prüfung zum Müllermeister ab. Vermutlich kurz danach pachtete er die Vogelmühle. Die Vogelmühle lief nicht mehr mit Wasserkraft, da auch die Peile nur unzureichende Verlässlichkeit in trockenen Monaten bot. Sie war mit einem Elektromotor ausgestattet, welcher den Walzenstuhl antrieb.
Zumindest ab dem Zeitpunkt wurde in der Neumühle nur noch der Schrotgang betrieben, wobei nicht ganz klar ist ob die Neumühle überhaupt noch einen Walzenstuhl hatte.
Die Familie von Otto Selig lebte von dem Zeitpunkt an in der einen Hälfte der Vogelmühle, über der Mahlstube. Wie in einem heutigen Zweifamilienhaus, lebte Familie Vogel in der anderen Hälfte. Zur Mühle gehörte außerdem ein Stall- und Lagergebäude.
Otto Selig mahlte für die Bauern und Güter der Umgebung, verkaufte aber auch Korn bzw. Mehl weiter an die Hilbert-Mühlenwerke nach Reichenbach.
Für Nieder-Mittel-Peilau verzeichnet das „Amtliche Landes-Adressbuch der Provinz Niederschlesien für Industrie, Handel und Gewerbe“ von 1927 nur den Müllermeister Paul Vogel Haus Nr.59, was die Vermutung bestätigt dass die Mühle bis zu dem Zeitpunkt im Besitz der Familie Vogel war und auch noch von dieser betrieben wurde. Aus welchem Grund Paul Vogel die Mühle nicht mehr selbst weiter führte ist nicht bekannt.
Für Mittel Peilau ist Emil Selig als Müllermeister in der Neumühle eingetragen.
Für die Orte Nieder-Mittel-Peilau und Mittel-Peilau sind damit zwei Mühlen eingetragen. Lediglich in Ober-Peilau II war noch ein Müllermeister Ernst ansässig. Eventuell betrieb dieser die Windmühle in der Nähe des Seidlitzhofes, aber das ist Spekulation!
Mit der Pacht der Vogelmühle hat Otto Selig auf jeden Fall eine Konkurrenzsituation im Ort vermieden, zumal die Neumühle wahrscheinlich nicht in der Lage gewesen wäre seine Familie und seinen Vater zu versorgen. Dieser betrieb, soweit er gesundheitlich noch dazu in der Lage war, die Neumühle mit dem erwähnten Schrotgang weiter und versorgte damit die umliegenden Häusler und Gärtner mit Futter, nach dessen Tod übernahm Otto Selig dieses Geschäft ebenfalls und stellte so die Versorgung seiner Mutter sicher.
Als Emil Selig 1936 starb, lebte seine Frau Amalie geb. Born, alleine mit dem Knecht in der Neumühle. Otto Selig beschäftigte außerdem durchgehend einen Gesellen in der Mühle.
Als mit dem Ausbruch des Krieges Knecht und Geselle eingezogen wurden, zog die Familie in die Neumühle um, um die Großmutter besser versorgen zu können.
Nach Ende des Krieges mussten viele deutsche Familien ihre Häuser in Peilau verlassen. Ihre Wohnungen wurden den polnischen Familien zugewiesen die ihrerseits aus den östlichen Gebieten Polens, die jetzt russisch wurden, „umgesiedelt“ wurden. Die Familie Selig konnte ungewöhnlich lange in ihrem Haus bleiben, da Otto Selig auf „amtliche“ Anordnung die Mühlen weiter betreiben musste um die Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Etwa ab Ende 1945 wohnte in der Mühle dann auch eine polnische Familie. Wegen der beengten Verhältnisse mussten das Ehepaar Selig und der jüngste Sohn bei Nachbarn unterkommen.
Die außergewöhnlichen Verhältnisse in denen sich alle Bewohner, die alten und die neuen, gerade dieser Umstrittenen Gebiete wie Schlesien befanden, verdeutlicht diese überlieferte Begebenheit:
Die Familie Selig hatte einen gut ausgestatteten Besitzstand an Möbeln und Einrichtungsgegenständen in der Mühle. Die Räume wurden nun aber den ankommenden Polen aus dem Osten zugewiesen. Diese hatten in der Regel nur das allernötigste dabei, vielfach weniger, von Möbeln ganz zu schweigen.
Unglaublicherweise kam es nun dazu, dass zwei anscheinen zivile polnische Bürger in die Mühle kamen und sie mehr oder weniger ausräumten. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als die polnische Familie bereits in der Wohnung war! So standen am Ende beide Familien, die Familie Selig und die polnische Familie mit mehr oder weniger Nichts da.
Etwa im Sommer 1947 bestieg dann die Familie Selig den letzten Flüchtlingstransport aus Reichenbach raus Richtung Westen. Die Familie stand vor der Wahl das Land zu verlassen oder die polnische Staatsbürgerschaft anzunehmen.
Wie viele andere Familien aus dem Kreis Reichenbach, die es ins Münsterland führte, kam die Familie durch glückliche Umstände ebenfalls ins nördliche NRW, nach Ostwestfalen. Dort hatte Otto Selig sogar die Möglichkeit noch einige Jahre eine Wassermühle zu pachten.
Seine Kinder sind all die Jahre um ihn gewesen und leben noch heute in dem Ort in den sie das Schicksal damals getrieben hat.
mit freundlicher Genehmigung von C. Selig, 2008
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