Wie alles begann.....
Wie alles begann …
Wiedersehen mit Peilau –
Zurück zu unseren Wurzeln
Es sollte ein Kurzurlaub in Polen werden, den ich mit meinen Brüdern Anfang Mai 2002 geplant hatte. „Auf der Suche nach unseren Wurzeln in Schlesien“ hätte das Motto lauten können.
Wir wollten das Dorf Peilau, heute Pilawa Dolna, besuchen, in dem einstmals unsere Vorfahren, die Familien Migula und Feist, wohnten.
Unsere Großeltern Martha Migula, geb. Feist und Bruno Migula lebten dort mit ihren drei Kindern auf ihrem ererbten Besitz von 150 Morgen bis zum 19. April 1946.
In den Erzählungen unserer Großeltern schien für uns Enkel der Ort Peilau wie eine heile Welt. Stundenlang konnten wir den Geschichten zuhören. Sie erzählten von der roten Kirche, dem Schlösselhof, von Familienfeiern, dem Großpapa, vom Osterwasser, der Peile, dem Berg hinter dem Haus, aber auch vom Krieg und der Vertreibung aus ihrer Heimat.
Unsere Großeltern haben ihre Heimat nie wiedergesehen. Meine Mutter Marianne Pieper, geb. Migula unternahm mit ihrem Cousin und seiner Lebensgefährtin in den 90er Jahren eine Reise nach Reichenbach und Peilau. Viele schon fast vergessene Begebenheiten sind damals wieder in ihr aufgelebt.
Leider starb meine Mutter im Jahr 2000 viel zu früh im Alter von 61 Jahren. Geblieben sind die Erzählungen und Traditionen, die wir so liebgewonnen haben. Und so entschlossen wir drei Brüder uns, Peilau im Jahr 2002 zu besuchen.
Es war eine wundervolle Fahrt über die Berge. Riesige Rapsfelder blühten und betörten mit ihrem Duft.
Unsere erste Station waren die Stadt Hirschberg und Krumhübel mit der Kirche Wang. Die Kirche lag an diesem Tag in Nebelschwaden gehüllt. Wir haben dort sogar den Rübezahl getroffen.
Und weiter ging es durch das Gebirge über Waldenburg nach Langenbielau. Dort hatten wir unsere Hotelzimmer gebucht.
Beim Spaziergang über den Friedhof in Langenbielau wurde uns sehr klar, was in den Geschichtsbüchern mit „entdeutscht“ beschrieben wird. Kaum noch gibt es Hinweise auf Grabstellen aus Zeiten vor dem Krieg, nur einige eingefallene Mausoleen.
Den nächsten Tag wollten wir uns ganz auf Peilau konzentrieren und während wir vorher reichlich Regen hatten, änderte sich das Wetter zum strahlenden Sonnenschein. Zuerst fuhren wir zur roten Kirche, die wir von Bildern und aus den Erzählungen kannten.
Der Aufstieg über die Treppen zur Kirche war dann auch ein besonderer. Hier haben unsere Vorfahren ihre Kinder zur Taufe gebracht, haben sie geheiratet.
Ein Blick zur Auffahrt: über diese fuhr in Kriegszeiten der Cousin meiner Mutter J. Franzke viele Hochzeitsgesellschaften mit Pferd und Wagen zu ihrer Trauung.
Die hohen und mächtigen Eingangstüren waren leider verschlossen. Hinter der Kirche gelangten wir auf den Friedhof. Wie mag er damals wohl ausgesehen haben? Heute ist es ein Wald, aber die Lindenallee und Teile der alten Friedhofmauern lassen seine frühere Gestalt erahnen.
Eingefallene Gruften werden heute von den Nachbarn zur Müllentsorgung zweckentfremdet. Es gibt keine Grabsteine mehr. Zwischen den Sträuchern und Efeupflanzen fanden wird noch einige alte Fundamente, auf denen früher Grabsteine gestanden haben. Aus den Erzählungen wussten wir ungefähr, wo das Grab unserer Urgroßeltern sein musste. Wir haben es nicht gefunden. Aber ein paar Schritte weiter fanden wir einen alten Grabstein mit der Aufschrift: „Hier ruht unser lieber Vater W. Kuhnert. 10.12.1857 – 8.6.1931. Glaube tröste, wo Liebe weint“
Und dann kam der Höhepunkt unserer Reise: Der Besuch des ehemaligen Hofes Migula. Heute wohnt dort die Familie Flies bereits in der dritten Generation. Wir wurden freundlich empfangen und durften uns auf dem Hof umschauen. Ein Teil der Scheune war zusammengefallen und von dem einst so schönen Putz an den Gebäuden war nichts mehr zu sehen. Die Familie will die Scheune wieder aufbauen, es fehlt am Geld.
Hinter der Scheune liegt der „Migula-Berg“, von dem wir einen wundervollen Blick auf den Hof und das Gebirge hatten. Hier gingen mir die vielen Erzählungen unserer Großeltern durch den Kopf. Plötzlich wurden sie wieder lebendig. Zwangsläufig musste ich an Kleeßla und Pfefferkuchen denken, an Mohnfelder, die Kirschbaumallee und die Kirschbaude, die Pferde, die Schweitzer …
Familie Flis lud uns zum Kaffeetrinken ein, und der Nachbar Adam, der heute im „Krancherhaus“ lebt, sprach mit uns Englisch. Plötzlich verschwand Adam und kam 10 Minuten später mit dem katholischen Pfarrer von Pilawa Dolna zurück. Pfarrer Edward Rostkowski lebte zwei Jahre in Bayern und spricht perfekt Deutsch. Seit zwei Jahren ist er Pfarrer in Pilawa Dolna. Er freute sich, dass Angehörige ehemaliger Peilauer zu Besuch kamen.
„Ich hab mich immer gefragt, wo die ehemaligen Peilauer geblieben sind. Wissen Sie das?“ – Oh ja, sicher wussten wird das, und so begann ein Gespräch über Vertreibung und Neuanfang. Diesen Augenblick habe ich als einen ganz besonderen erlebt. Ein Gespräch über die Vergangenheit unserer Eltern und Urgroßeltern in deren ehemaligem Wohnzimmer, das sie selber nie wieder gesehen haben.
„Ich möchte gerne einen Gedenkstein aufstellen, damit ehemalige Peilauer bei ihren Besuchen wenigstens ihrer Toten gedenken können!“ sagte Pfarrer Rostkowski. Meine Brüder und ich waren gerührt und haben fest versprochen, eine Fahrt nach Pilawa Dolna zur organisieren, damit ehemalige Peilauer, deren Kinder und Enkel bei dieser Einweihung des Denkmals dabei sein können.
Wir hatten den Wunsch, die rote Kirche zu besichtigen und Herr Rostkowski lud uns ein, mit in sein Pfarrhaus an der katholischen Kirche zu kommen. Er übergab uns den 150 Jahre alten Kirchenschlüssel und wir fuhren weiter zur roten Kirche.
Die riesigen Protaltüren wurden gerade restauriert. Dahinter im Flur steht der ehemalige Taufstein aus „evangelischen Zeiten“. Die Kirche war festlich geschmückt für die anstehende Kommunion. Vorne links, Reihe fünf, da saß früher die Familie. Oben auf der Empore fanden wir noch ein altes Familienschild an einer Bank. Darauf stand: C. Bunert, N.M.Peilau.
Wir stiegen weiter die Wendeltreppen hoch bis in den Turm. Die Turmuhr ist nicht mehr funktionsfähig, die Glocke wird noch immer mit einem Seil geläutet.
Die Kirche ist in einem verhältnismäßig guten baulichen Zustand. Bis in die 70er Jahre waren viele Kirchen einfach geschlossen. Die rote Kirche wurde teilweise als Lagerraum genutzt.
Mit diesem Artikel in der „Hohen Eule“, dem Heimatblatt für die Vertriebenen aus dem Kreis Reichenbach, erreichte ich viele ehemalige Peilauer und ihre Familien.
www.peilau.de.tl
Mit 50 ehemaligen Peilauern und ihren Familien sind wir ein Jahr später nach Pilawa Dolna gefahren. Die älteste Teilnehmerin war 84 Jahre alt und hatte ihr Elternhaus 1941 das letzte Mal gesehen.
Bilder von der Einweihung des Denkmals sind auf dieser Homepage eingestellt.
Rückblick auf die Fahrt
Artikel, Hohe Eule, Nr 598, Oktober 2003
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